Unternehmensverantwortung in polarisierten Zeiten
Dr. Gunther Wobser zur Demokratie-Debatte

Reportage in der Süddeutschen Zeitung

Am 9. Dezember 2025 erschien in der Süddeutschen Zeitung ein umfangreiches Porträt über unser Unternehmen, die Stadt Lauda-Königshofen und Dr. Gunther Wobser und seine Position zur aktuellen Debatte über den Umgang mit der AfD. Die SZ gehört mit einer Auflage von rund 300.000 Exemplaren zu den wichtigsten überregionalen Tageszeitungen Deutschlands. Der Artikel wurde auf der prominenten »Seite Drei« veröffentlicht – einem Format, das für ausführliche Reportagen und Porträts mit hoher gesellschaftlicher Relevanz reserviert ist.

Interview bei LAUDA

Hintergrund ist die kontroverse Diskussion um den Umgang von Wirtschaft und Verbänden mit der AfD. Nachdem der Verband der Familienunternehmer AfD-Abgeordnete zu einer Veranstaltung eingeladen hatte, entbrannte eine bundesweite Debatte über die sogenannte »Brandmauer« und die Frage, wie Demokratie in Zeiten politischer Polarisierung verteidigt werden kann. Die SZ-Redakteure Elisabeth Dostert und Thomas Fromm führten das Interview mit Dr. Wobser am 4. Dezember 2025 am Standort Lauda.

Dr. Gunther Wobser vertritt eine differenzierte Haltung:

Er lehnt die AfD und ihr Programm klar ab – wirtschaftlich wie gesellschaftlich. Gleichzeitig sieht er eine »Brandmauer« in der Praxis als nicht umsetzbar, da AfD-Wähler überall präsent sind – auch unter Mitarbeitenden und im regionalen Umfeld.

Statt Ignoranz plädiert er für inhaltliche Auseinandersetzung in kontrolliertem Rahmen mit dem Ziel, die Partei »zu entlarven« und ihre wirtschaftlich zerstörerischen Forderungen (EU-Austritt, Euro-Aus) offenzulegen.

Seine Metapher: eine »Zugbrücke« statt einer Brandmauer – selektiv, kontrolliert, jederzeit zurückziehbar.

Klare Haltung:
Demokratie als Unternehmerpflicht

Der Artikel beschreibt Dr. Wobser als welterfahrenen Unternehmer mit klarer demokratischer Haltung, der die Verteidigung der Demokratie als Unternehmerpflicht begreift, Komplexität aushält und trotzdem mutig Position bezieht. Die Resonanz darauf war sehr positiv.

Mit freundlicher Genehmigung und dank entsprechender Lizenzierung können wir Ihnen den SZ-Plus-Artikel hier in voller Länge präsentieren.

 

SZ Süddeutsche Zeitung | Die Seite Drei | 09.12.2025

Mitten in Deutschland

von Elisabeth Dostert und Thomas Fromm

Nach der Aufregung um die Brandmauer sollte man mal bei Gunther Wobser in Lauda vorbeischauen: bester deutscher Mittelstand. Nicht mit der AfD reden? Wie denn, die sind doch überall. Da helfe nur: inhaltlich bloßstellen.

Gunther Wobser hat das Wahlprogramm der AfD zur Bundestagswahl nicht nur gelesen. Er hat es auf sein Tablet geladen und ist es Absatz für Absatz, Zeile für Zeile durchgegangen. Mit einem neongelben digitalen Textmarker hat er hervorgehoben, was ihm besonders aufgefallen ist. Stellen, die er besonders schlimm fand, hat er mit einer dünnen roten Wellenlinie noch mal extra unterstrichen. „Unsere Bürger im Mehltau des linken Zeitgeistes“, das ist so eine doppelt markierte Stelle.

Solche Sätze findet Wobser grauenvoll. Er hält einem das iPad hin, verzieht das Gesicht, schaut einen fragend an, er ist jetzt 55 Jahre alt, aber er kann das alles nicht fassen. „Sehen Sie mal, was hier im Parteiprogramm steht“, sagt er: „Ich kann den Leuten doch keine signifikante Rentenerhöhung versprechen, das geht doch rein ökonomisch überhaupt nicht.“

Nach dem ganzen Tumult ist jetzt wieder Ruhe. Aber es geht ja trotzdem weiter.

Wirtschaftlich geht das vielleicht nicht, aber versprechen kann die AfD den Menschen natürlich vieles. Den Ausstieg Deutschlands aus der Europäischen Union, oder die Abschaffung des Euro, wenn es sein muss. Sogar auf Frieden mit dem Kriegsaggressor Wladimir Putin kann sich die Partei festlegen. Man muss eben nur ganz fest dran glauben.

Wobser sitzt im Besprechungsraum gleich neben seinem Büro in Lauda, draußen vor dem Fenster liegen novembergrau die Hügel des Main-Tauber-Kreises. Eigentlich kein schlechter Tag, um über die AfD zu sprechen und über das, was dem Familienunternehmer sonst noch wichtig ist. Auf den Gängen draußen laufen gerade die letzten Vorbereitungen für eine Ausstellung des südkoreanischen Künstlers Kiwan Choi, die Vernissage ist am Abend.

Für Wobser, der solche Kunstausstellungen öfter mal bei sich in der Firma organisiert, ist das ein großer Moment. Den Maler hat er selbst in Berlin entdeckt. Überhaupt, Berlin. Das ist die andere Hälfte seines Lebens. Er lebt mal hier am Firmensitz südlich von Würzburg, mal in der Hauptstadt. Stadt, Land, Stadt, damit geht es eigentlich schon los mit den vielen Kontrasten in seinem Leben.

Gunther Wobser ist die dritte Generation, seine Firma gibt es seit bald siebzig Jahren. Sie ist also fast so alt wie die Bundesrepublik und hat alle Höhen und Tiefen mitgemacht. Die Firma heißt Lauda. So steht es am Firmengebäude. Die Lauda Dr. R. Wobser GmbH & Co. KG liegt in Lauda, einem Ortsteil von Lauda-Königshofen. Sie stellt hier Temperiergeräte für die Industrie her. Die Firma ist das, was man in der Wirtschaft einen „Hidden Champion“ nennt. Einer dieser versteckten Weltmarktführer, die kaum jemand kennt und von denen es in Deutschland besonders viele gibt. Klassischer deutscher Mittelstand: etwa 100 Millionen Euro Umsatz, 600 Mitarbeiter, davon 400 in Lauda. Wobsers Geräte stehen in Chemiefabriken, in den Reinräumen von Halbleiterherstellern, in Testräumen für Autobatterien und in den OP-Sälen von Krankenhäusern. Das Temperaturspektrum des Unternehmens reicht von minus 150 bis plus 550 Grad Celsius. Von sehr kalt bis sehr, sehr heiß.

Passt irgendwie zur aktuellen Lage in diesem Land.

Mit extremen Temperaturen kennt sich Gunther Wobser also bestens aus, was vielleicht gar keine schlechte Voraussetzung ist, um mit ihm eine Sache zu diskutieren, die gerade ziemlich überkocht. Angefangen hatte alles vor ein paar Wochen mit einem Tabubruch, als Marie-Christine Ostermann, die Präsidentin des Verbandes der Familienunternehmen, beschlossen hatte, Abgeordnete der in Teilen als rechtsextrem eingestuften AfD zu einem gemeinsamen Parlamentarischen Abend einzuladen. Dass sie damit die Brandmauer einriss, war wohl einkalkuliert. Denn es ist ja so: Wird die Partei von Unternehmern und Lobbyisten eingeladen, nützt ihr das natürlich politisch: Seht her, alle reden mit uns. Werden AfD-Politiker aber ausgeladen, nützt ihnen das auch. Seht her, wir sind die Opfer. Profiteure, Opfer, wieder Profiteure. Immer das Gleiche.

Zu jenem fraglichen Abend in Berlin hatte der Verband einige AfD-Bundestagsabgeordnete eingeladen. Es kam Leif-Erik Holm, der wirtschaftspolitische Sprecher der AfD-Fraktion. Danach prahlte er medienwirksam: „Selbst der Verband der Familienunternehmer, der uns früher geächtet hat, lädt uns inzwischen ein.“ Es folgten: Proteste, Verbandsaustritte, am Ende blieb ein Riss, der sich durch die Welt der Familienunternehmer zog. Auf harte Kritik folgte Ostermanns Rückzieher, aber was bedeutete das schon. Der gefühlte Gewinner des Showdowns war die AfD.

Es ist ein perfides Spiel, bei dem Familienunternehmer wie Wobser immer wieder vor der gleichen Frage stehen. Er ist nicht Mitglied in Ostermanns UnternehmerVerband, aber er fragt sich nach all dem Tumult natürlich trotzdem: Wie bitteschön soll man mit der AfD und ihrem Personal umgehen? Für ihn und all die anderen Familienunternehmen ist dieses Problem mit dem Rückzieher keinesfalls beendet, im Gegenteil. Es geht ja immer weiter. Darf man also mit ihnen reden? Und wenn ja, wann und wie? Und wann läuft man Gefahr, von ihnen instrumentalisiert zu werden, sie hoffähig zu machen, ohne dass man das will?

Wobser ist kein Mann der schnellen, zackigen Antworten, dafür sei die Lage auch viel zu komplex. Er ist ein sensibler Mensch, er denkt oft wirklich nach, bevor er antwortet. Dass er die AfD auf keinen Fall an der Macht sehen will, weiß er genau, da hat er eine ganz klare Haltung. Bei der Bundestagswahl kam die AfD in Lauda-Königshofen auf gut zwanzig Prozent. Das mag angesichts der Ergebnisse in Teilen Ostdeutschlands wenig erscheinen. Aber es sind dann doch zu viele Menschen, um ihnen nicht ständig über den Weg zu laufen – in der Firma, in der Stadt, eigentlich überall.

Ein Unternehmer, der das Programm liest, müsste eigentlich sofort abwinken.

Wochenlang über die Brandmauer streiten, das kann man im politischen Berlin machen, in der Zivilgesellschaft. Aber wie ist es bei Wobser in Lauda?

Er sitzt nur ein paar Meter von seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern entfernt. Über das Treppenhaus, vorbei an den Bildern von Kiwan Choi, geht es runter in die Produktion. Montagebänke, auf den Schildern über den Tischen steht, worum es hier geht. Hypothermie, Halbleiter, Komponentensteuerung, Temperatur-Test-Spektrum. Alles Handarbeit, Manufaktur, keine Roboterarme, keine Bänder.

Hier sitzen Menschen auf drehbaren Stühlen, schrauben, klopfen, löten. Jede Schweißnaht an den Rohren großer Anlagen wird mit einer Nummer markiert und hinter jeder steckt der Name des Mitarbeiters, der sie geschweißt hat. Es riecht nach Öl und heißem Metall. Wobser liebt diesen Geruch. „Das ist der Geruch der deutschen Industrie.“ Der Chef kennt hier fast alle, so groß ist die Firma ja auch wieder nicht. Er spricht kurz mit einem Arbeiter, lacht, klopft ihm auf den Rücken. So ist das hier. Und natürlich wird auch mal über Politik gesprochen.

Familienunternehmer wie er sind in einer komplizierten Situation, deswegen reden auch nur sehr wenige offen darüber. Anders als die Manager großer DaxKonzerne wie Siemens, BMW, Bayer oder BASF sind Familienunternehmer stärker in ihren Regionen verwurzelt. Ihre Gesichter kennt hier jeder, es sind Menschen, die am Abend auch mal neben ihren Mitarbeitern in der Kneipe stehen. Oder bei der Ausstellung „beim Wobser“, wie sie hier sagen. Da weiß jeder, wer gemeint ist. Es darf übrigens kommen, wer will, und sich südkoreanische Kunst ansehen. Man muss sich nur am Empfang anmelden, der Chef fragt auch nicht nach dem Parteibuch, wäre ja noch schöner.

Und trotzdem: Wobser ist zerrissen. Er lehnt alles an der AfD ab, ihr Programm, ihre Spielchen und Strategien, ihre Weltsicht. Aber Brandmauer? „Eine Brandmauer ist schon deshalb nicht möglich, weil die AfD doch überall ist“, sagt er. „Wie wollen Sie die denn ignorieren?“

Wobser mag eigentlich überhaupt keine Mauern. Sein Großvater Rudolf Wobser war Physiker und in der DDR Betriebsleiter in einem Prüfgerätewerk. Er träumte von einer eigenen Firma im „freien Westen“, wie sein Enkel sagt. 1955 setzte er sich mit seiner Frau und den drei Kindern in den Westen ab. Ins Taubertal, in die Region verschlug es damals viele. Eigentlich wollte der Großvater nach Wertheim, aber da war er nicht willkommen. „Wir haben schon genug Hungerbetriebe“, hieß es dort.

In Lauda landete der Gründer also nur, weil er dort auf einer Reise den Zug wechseln musste. Er hatte Zeit, ging spazieren und sah, dass das Schulhaus leer stand, das überließ ihm die Stadt für seine neue Firma. Solche Geschichten halten sich über Generationen. „So etwas prägt“, sagt Wobser. Die Flucht der Großeltern, die Teilung Deutschlands.

Wie also Abgrenzung von der AfD funktionieren soll? Wobser spricht dann lieber von einer Zugbrücke als von einer Brandmauer. „Es ist keine normale Brücke, über die man ständig gehen kann, sondern die nur ab und zu mal ganz gezielt ausgefahren wird, um Leute rein- und wieder rauszulassen“, sagt er. Wenn die Dinge „aus dem Ruder“ liefen, könne man die Brücke ja jederzeit wieder hochziehen. „Und ich kann selber entscheiden, wen ich in meine Festung der Demokratie hineinlasse.“

Um Wobsers Demokratie-Festung herum ist die Welt vielfältig, es reicht ein Spaziergang durch Lauda, um das festzustellen. Das Alevitische Kulturzentrum liegt gleich am Bahnhof, ein paar Schritte weiter das Anadolu Kebab House, schon seit Ende der Achtzigerjahre gibt es hier eine Moschee. In der Pfarrstraße steht der „Gasthof Goldener Stern“ mit gutbürgerlicher Küche. Das fränkische Schäufele sei hier besonders gut, sagen die Leute, und die Ente mit Rotkohl, aber da müsse man Tage im Voraus bestellen.

Man kennt sich, man trifft sich. Egal, ob beim Döner oder bei der Ente. Lauda hat an die sechstausend Einwohner, Fachwerkhäuser, Weingüter. Alles irgendwie urdeutsch – und doch sehr vielfältig. Eine ganz normale Kleinstadt mitten in Deutschland. Und wie überall ist die AfD natürlich auch hier Thema. In den Kneipen, beim Friseur, am Sportplatz.

Und in den Gesprächen, die Wobser mit anderen Unternehmern führt. Klar, sie reden auch über das Programm der AfD, da kennt er sich ja aus, genau deswegen hat er die für die Unternehmer wie ihn so zerstörerischen Forderungen der Partei neongelb markiert und rot unterstrichen. Was ihm bei diesem Programm auffällt, ist, dass man auf den ersten Seiten ja eher das Gefühl hat, eigentlich könnte da FDP draufstehen. „Dann blättert man weiter und dann kommen die Hämmer – EU-Austritt, Euro-Aus, solche Dinge.“ Spätestens hier müsste ja eigentlich jeder Unternehmer, der es liest, abwinken.

Jeder kenne jemanden, der sie wählt. Man kommt an denen ja nicht mehr vorbei.

 „Das sind schon ziemliche Menschenfänger“, sagt Wobser. „Die wissen natürlich genau, dass es im Parlament eine Lücke gibt, seit die FDP nicht mehr da ist.“ Und: „Der eine oder andere, der das Programm durchliest, wird da bestimmt erst mal nicken.“ Nur dass die AfD nun mal nicht die FDP ist, damit fängt es schon an.

Sollte die AfD ihre EU-Ausstiegsideen umsetzen und wieder eine nationale Währung einführen, wären die Folgen für die deutsche Wirtschaft – und nicht nur für die – verheerend. Das Bruttoinlandsprodukt würde massiv einbrechen, die Arbeitslosigkeit steigen. Eine AfD-Migrationspolitik hätte massive Folgen für den Arbeitsmarkt. Es genügt, einmal in Pflegeheimen oder Krankenhäusern nachzusehen, wer dort einen Großteil der Arbeit erledigt. Die Nähe zu Putins Russland, populistische, weitgehend unbezahlbare Steuerpläne, die Auswirkungen auf die bundesrepublikanische Demokratie.

Von offenen Grenzen bis zur offenen Gesellschaft: Die AfD würde all dem quer entgegenstehen, was das Land, was auch Familienunternehmen wie Lauda, in den vergangenen Jahrzehnten hier aufgebaut haben.

Und trotzdem, Wobser kommt an der Partei nicht vorbei. Viele kennen jemanden, der mit der AfD sympathisiere oder sie wähle. Ein Mitarbeiter in seiner Firma habe sich für die AfD aufstellen lassen. Eine Zahnärztin aus dem Ort sitzt jetzt für die Partei im Bundestag. Und es gebe sicher auch Unternehmer, die mit der AfD sympathisierten.

Also nicht mit AfD-Leuten reden, geht das überhaupt?

Nein, sagt Wobser. Aber: Er würde denen keine große Bühne geben wollen, er würde sie also definitiv nicht zu einer Veranstaltung einladen, wo sie dann von Tisch zu Tisch rennen können, um für sich zu werben. Daher hält er Ostermanns Entscheidung, AfD-Politiker zu einem Parlamentarischen Abend einzuladen, für einen „Fehler“. Besser seien Gespräche in einem überschaubaren, kontrollierten Rahmen. „Ich hätte da den Ehrgeiz, die zu entlarven.“ Er sage bei Gesprächen auch immer gleich mal: „Ich persönlich lehne die AfD entschieden ab, weil sie mit meinem Weltbild und meinen Vorstellungen als Mensch, der international viel unterwegs ist, absolut nicht zusammenpasst.“ Damit die Leute Bescheid wissen.

Wobser hat vor Jahren mal eine Weile in Kalifornien gelebt, er kommt herum in der Welt. Vor ein paar Wochen hat er eine Tochterfirma in Indien eröffnet. Der Geschäftspartner dort hat ihm eine Messingstatue der hinduistischen Gottheit Ganesha geschenkt. Passt ja. Ganesha kommt immer dann ins Spiel, wenn es darum geht, Probleme zu lösen und Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Außerdem wird er als Gott der Weisheit und Beschützer der Gelehrsamkeit gefeiert, alles Dinge, die man in diesen irren Zeiten auf jeden Fall gut brauchen kann.

Es ist doch so, dass die Menschen gerade vor allem Möglichen Angst haben.

Wobsers Ganesha steht jetzt auf dem Fensterbrett, drum herum noch mehr Mitbringsel und Auszeichnungen aus aller Welt. Für einen Familienunternehmer ist er ziemlich viel unterwegs, er weiß also nur zu gut, dass es nicht nur eine Realität gibt. „Berlin ist eine Realität“, sagt er, „und wenn ich hier in Lauda auf den Sportplatz gehe oder in den Goldenen Stern zum Essen, ist das auch eine Realität.“ Indien, Kalifornien, Singapur, und die AfD, klar, die wäre dann halt auch noch so eine Realität. Er erzählt jetzt einfach mal kurz, wie er die vergangenen Tage verbracht hat. Damit man versteht, warum er die Dinge so sieht, wie er sie sieht.

Ende November sei er in Berlin gewesen, da wurde ein Buch über den deutschen Mittelstand vorgestellt. Dann weiter nach Singapur. „Ein sehr moderner, wahnsinnig gut funktionierender Stadtstaat mit sehr vielen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen, die friedlich zusammenleben“, sagt er. Und: „Alle sind freundlich.“ Zurück am Flughafen Frankfurt habe ihn die deutsche Realität dann wieder eingeholt. Nichts funktionierte, und freundlich war der Empfang auch nicht gerade. Drei der fünf Schalter an der automatischen Passkontrolle waren außer Betrieb, daneben ein Polizist, der ihn nicht mal grüßte. „Willkommen daheim“, hat er sich da gedacht.

Er musste dann gleich weiter nach Heilbronn zu einer Veranstaltung mit Start-ups, gegen Abend fuhr Wobser zurück nach Lauda. Weihnachtsmarkteröffnung, um 19.50 Uhr hat er dort den ersten Glühwein der Saison getrunken und eine Bratwurst gegessen. Dann kam noch der örtliche Elektroeinzelhändler auf ein Gespräch zu ihm. Irgendwann sei er nach Hause gefahren „und glücklich und zufrieden eingeschlafen“.

Berlin, Singapur, Heilbronn, Lauda. Und jetzt sitzt er in diesem Konferenzraum mit Kunst an den Wänden, auf dem Tisch stehen Schinken- und Käseschnittchen und eine Schüssel mit Snickers- und Mars-Riegeln, draußen wabert der graue Novembernebel vor sich hin. Und er spricht über eine Partei, die für einiges steht, aber sicher nicht für Vielfältigkeit. Er kennt Mittelständler, die neuerdings Fluchtgedanken haben und Pässe sammeln. „Ich kenne Leute, die die Schweizer Staatsangehörigkeit angenommen haben, andere sind Kanadier geworden.“ Aber weshalb: Kriegsgefahr, Wirtschaftskrise, Steuern, Bürokratie, Regierung, die immer stärker werdende AfD? Wobser weiß es auch nicht so genau. Möglich, dass die Menschen gerade vor allem Möglichen Angst haben.

Er will jedenfalls kein Kanadier werden. „Ich habe einen deutschen Pass, und ich habe mich entschieden, den und auch nur den zu behalten und hierzubleiben“, sagt er. Das klingt sehr entschlossen. Bei aller Liebe zu Kalifornien und Indien, aber er kommt nun mal aus Lauda und hier ist sein Unternehmen, hier ist er daheim. Seine Firmengebäude sind schon von Weitem zu sehen, und daneben das Grad-Zeichen mit einem rot-blauen Farbverlauf, als würde man von hier aus die Temperatur des Ortes oder gleich die des ganzen Landes messen. Wie eine Fieberkurve.

Wenn er in Berlin sei, sagt er, fahre er oft Taxi oder Uber. Die Fahrer seien ja meistens Menschen aus aller Welt. „Das sind für mich wertvolle Erfahrungen, richtig gute Gespräche“, sagt er. Es seien dann meist ziemlich andere Gespräche als die mit alten Freunden in Lauda.

Ach ja, ein paar Mauern musste Wobser hier dann doch schon mal ziehen. Es gäbe ein paar Menschen, mit denen er sich eine Weile nicht mehr privat getroffen habe. Er liebe zwar Diskussionen, aber er war es irgendwann leid, bei privaten Treffen immer wieder über die AfD zu streiten. Inzwischen trifft er diese Freunde wieder. Er will ja reden – und vor allem will er überzeugen.

 

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SZ Süddeutsche Zeitung "Die Seite Drei" vom 09.12.2025 als PDF

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Christoph Muhr
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